2006 lancierte die FAMBAU Genossenschaft als grösste Eigentümerin im Tscharnergut einen Studienauftrag mit sechs Architekturbüros für die Waldmannstrasse 25. Ziel der Studie war es, aufzuzeigen, welche Möglichkeiten für eine Erneuerung der Scheibenhäuser bestehen und welcher Entwicklungsweg der Geeignetste sein könnte. Dabei wurde selbst der Abbruch mit Ersatzneubau thematisiert. Folglich erhielten wir auch sechs unterschiedliche Lösungsvorschläge. Diese reichten vom minimalen baulichen Eingriff bis zum Ersatzneubau. Eine Jury, in welcher auch der "Vater des Tscharnerguts", Ulyss Strasser mitwirkte, befand schliesslich die Arbeiten von Matti Ragaz Hitz Architekten und Rolf Mühlethaler als die Erfolgversprechendsten.
Die Aussenraumqualität des Quartiers Tscharnergut ist bis heute gefragt und hoch einzuordnen. Die damalige Sicht der Erbauer galt nebst dem Aussenraum an erster Stelle den günstigen Familienwohnungen. Dieses Ziel wurde damals erfolgreich umgesetzt. Dies geschah jedoch zum Preise einer minimalen und kostengünstigen Bauqualität. Die Bausubstanz ist daher nach heutigen Massstäben nicht vergleichbar. Diese ist auch in keiner Weise vergleichbar mit den Altstadtgebäuden von Bern, welche beinahe für die Ewigkeit erbaut sind. Die Lebensdauer der Gebäude im Tscharnergut und ihrer Bausubstanz ist nach mehr als fünfzig Jahren bereits erreicht.
Wir befinden uns mit diesen Gebäuden im Bereich des gemeinnützigen Wohnungsbaus, die Mieten müssen weiterhin günstig bleiben. Heute haben die Bewohner jedoch die Erwartung an einen zeitgemässen Wohnkomfort. Deshalb sollen sich die zukünftigen Investitionen auf die aktuellen Wohnbedürfnisse ausrichten.
In einem nächsten Verfahrensschritt wurde eine Marktanalyse mit einer Aussage zur demografischen Entwicklung der Bevölkerung im Westen von Bern erarbeitet. Die möglichen Bedürfnisse und Marktchancen wurden abgeklärt und in einem Grundlagenbericht festgehalten. An dieser Analyse, welche unter der Federführung der Tscharnergut Immobilien AG durchgeführt wurde, haben sich alle Eigentümer im Tscharnergut beteiligt.
Als gemeinsames Ziel entstand daraus eine Rahmenvereinbarung unter den Eigentümern und mit Beteiligung der Stadt Bern, welche die Zukunft des Tscharnerguts regelt. Das Quartier soll in seiner baulichen und räumlichen Grundstruktur erhalten bleiben, soll sich an die zukünftigen Markt- und Mieterbedürfnisse ausrichten und in seiner Identität und seinem Image gestärkt werden. Die Rahmenvereinbarung wurde im Herbst 2009 allseitig unterzeichnet.
Mit der Unterzeichnung der Rahmenvereinbarung beschlossen die Eigentümer, gemeinsam eine mögliche Sanierung mittels eines Pilotprojekts an der Waldmannstrasse 25 zu erarbeiten. Damit sollte in der Zukunft eine umsetzbare Lösung für die Scheibenhäuser aufgezeigt werden. Für die Erarbeitung des Pilotprojekts wurden in einem neuen und wegweisenden Verfahren am runden Tisch alle Eigentümer und alle für eine rechtsgültige Baubewilligung zuständigen Behörden zur Mitwirkung eingeladen. Dabei sollte zusätzlich zum Pilotprojekt eine verbindliche Planungsvereinbarung entstehen. In dieser galt es, die Spielregeln für zukünftige Sanierungsvorhaben festzulegen und das Bewilligungsverfahren zu vereinfachen. Die Planungsvereinbarung wurde schliesslich im Dezember 2012 von allen Eigentümern und dem Stadtpräsidenten unterzeichnet.
Auf dem Weg zu dieser Planungsvereinbarung stand zu Beginn eine tiefgreifende und intensive Untersuchung zu der von der Denkmalpflege hochgepriesenen wertvollen Bausubstanz. Es zeigte sich nach Abschluss dieser sehr umfangreichen Untersuchungen, dass die bestehende Bausubstanz äusserst schlecht war und eigentlich derart viele Massnahmen notwendig wären, dass die wirtschaftlichste Lösung ein Ersatzneubau gewesen wäre. Wir mussten zum Beispiel feststellen, dass die Fassadenelemente auf der Westseite minimal verankert und teilweise absturzgefährdet waren. Ein vollständiger Ersatz dieser Fassade wurde notwendig.
Die Denkmalpflege war vorerst nicht bereit zu diesem Schritt. Auch alle übrigen Vorschriften sollten mittels Kompromissen dem übergeordneten Schutzinteresse weichen. Letztlich war jedoch eine Veränderung unumgänglich. In intensiven Diskussionen konnte schliesslich die Lösung der Erweiterung mit einer Raumschicht von 3 Metern ausgehandelt werden. Ebenfalls wurde beschlossen, die vertikalen Erschliessungstürme vollständig zu ersetzen.
Foto links vor der Sanierung und Foto rechts nach der Sanierung mit 3 Meter Raumschichterweiterung.
Mit dem Beginn der Bauarbeiten wurde deutlich bestätigt, dass die vorhandene Bausubstanz den heute gültigen materiellen Anforderungen nicht mehr genügte. Dies kann für uns als Wohnungsvermieter zu einer mietrechtlichen Gratwanderung werden. Es war unmöglich, mit der bestehenden Bausubstanz und den akzeptierten Massnahmen die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen. Nach SIA 181 konnten die Mindestanforderungen bei den realisierbaren Schalldämmungen der Wohnungen für die Bereiche Decken und Wohnungstrennwände bei weitem nicht erreicht werden.
Der statische Zustand erlaubte gemäss Beurteilung des Bauingenieurs kein zusätzliches Gewicht. Damit musste unter anderem die verbesserte Schallisolierung des Bodenaufbaus fallen gelassen werden. Eindrücklich wurde diese Aussage mit den offengelegten Deckenrändern auf der Westseite dokumentiert. Die Decken bestanden aus 14 cm Beton, einer ungenügenden Netzarmierung, welche zudem noch an falscher Lage in der Konstruktion eingebaut war. Damit erfüllte die Armierung die ihr zugedachte Aufgabe in keiner Weise. Zusätzlich wurde die Deckenkonstruktion noch durch die eingelegten Kupferrohre der Deckenheizung geschwächt.
Die Wohnungstrennwände bestanden aus 15 cm Backstein und waren bezüglich Schallschutz absolut ungenügend. Aus statischen Gründen konnten auch keine Wände verschoben oder nachisoliert werden, da die Tragkraft der Gesamtkonstruktion dies nicht erlaubte. Eine zusätzliche Schallisolation der Wohnungstrennwände hätte die ohnehin schon kleinen Wohnungen zudem noch weiter geschmälert. Somit konnten auch die Zimmergrössen nicht verändert werden. Die vorhandenen Kinderzimmer mit maximal 9 m2 Grundfläche bleiben auch nach der Sanierung bestehen.
Der Wohnungszugang über die Laubengänge konnte ebenfalls nicht verändert werden, somit sind auch die Sicherheitsvorgaben für Fluchtwege nicht erfüllt und die Hindernisfreiheit kann nicht eingehalten werden. Dies sind nur einige Beispiele der erwähnten Kompromisse. Es besteht dazu eine lange Liste der nicht erfüllbaren Vorschriften.
Die FAMBAU hat sich dennoch entschlossen, dieses Sanierungsexperiment Waldmannstrasse 25 umzusetzen und nach Abschluss ein Fazit zu ziehen. Die harten Fakten dazu sind:
Ein Projekt, welches den mietrechtlichen Anforderungen nicht entspricht.
Ein Projekt, das die Anforderungen an die Erdbebensicherheit nicht zu erfüllen vermag.
Ein Projekt, das den Brandschutzanforderungen nur ungenügend gerecht wird.
Ein Projekt, das die Anforderungen an die Hindernisfreiheit nur teilweise erfüllen kann.
Ein Projekt, welches die Energievorschriften nicht erfüllt.
Ein Projekt, das die ökologische Gebäudebilanz weit verfehlt.
Ein Projekt, welches die minimalen Schallschutzanforderungen nicht erfüllen kann.
Ein Projekt, das den heutigen Bedürfnissen einer Familienwohnung nicht gerecht wird.
Die umfangreiche Zustandsanalyse konnte während der Bauzeit mit einer umfassenden Fotodokumentation eindrücklich unterstrichen werden.
Die Vermietung der Wohnungen hat vom Frühjahr 2015 bis ins Frühjahr 2016 auch deutlich aufgezeigt, dass eines der Hauptziele des Tscharnerguts, gemäss Wortlaut der Rahmenvereinbarung, nicht erfüllt werden kann.
"Ein attraktives Angebot an preiswerten Wohnungen für Familien schaffen."
Familien zeigten bei der Besichtigung wenig Interesse an den Wohnungen. Die Kinderzimmer sind zu klein, die Wohnungsgrundrisse sind nicht gefragt. Zudem wurde von den Mietern nicht verstanden, wieso die Innenräume im ursprünglichen, heute nicht mehr zeitgemässen Farbtönen gestrichen wurden.
Der schon zuvor ungenügende Schallschutz konnte aus statischen Gründen nicht verbessert werden und könnte in Zukunft zu Streitigkeiten unter den Nachbarn führen. Es bleibt zu hoffen, dass bei der Schlichtungsstelle keine Forderungen von Mietern für eine Mietzinsreduktion aus den genannten Gründen eingereicht werden. Ansonsten dürfte es interessant werden, wie die Tatsache beurteilt wird, dass die Eigentümerschaft wegen des Denkmalschutzes die geltenden baulichen Vorschriften nicht einhalten konnte.
Bereits während der Planung wussten wir, dass sich die Baukosten etwa im gleichen Rahmen wie ein Ersatzneubau bewegen. Dies wurde mit der Bauabrechnung auch bestätigt.
Durchschnittlich betragen die Sanierungskosten für eine 3 ½ Zimmerwohnung an der Waldmannstrasse 25 rund 280'000 Franken, ohne dabei die bestehenden Kosten für die vorhandene Rohbausubstanz in den Anlagenwert einzurechnen.
Zum Vergleich können die folgenden Zahlen aufgelistet werden:
Mit einem Gebäudevolumen von etwa 35'200 m3 ergeben sich daraus folgende Werte: ca. 765 Fr./m3 ohne Rohbau und etwa 1'000 Fr./m3 mit der bestehenden Rohbausubstanz.
Die Berechnung der Gebäudefläche GF mit ca. 12'285 m2 ergibt einen Betrag von 2'745 Fr./m2.
Die Berechnung der Hauptnutzfläche HNF von ca. 11'000 m2 ergibt einen statistischen Wert von 3'150 Fr./m2 ohne Rohbau und 4'000 Fr./m2 mit Einrechnen der Rohbausubstanz.
Diese statistischen Werte belegen deutlich, dass die Kosten eindeutig zu hoch und mindestens auf Neubauniveau ausgefallen sind. Die entsprechende Ausschreibung der Neubauplanung Muttachstrasse belegt eindeutig, dass die Kosten für die Sanierung teurer sind als kostengünstige Neubauwohnungen.
Entsprechend sind die Auswirkungen auf die Mietzinse nach der Sanierung, welche etwa doppelt so hoch sind wie vor der Sanierung. In der Mietzinsberechnung ist die bestehende Bausubstanz nicht enthalten, da die Anlagekosten vor Sanierungsbeginn vollkommen abgeschrieben werden mussten. Andernfalls wäre diese Berechnung und Mietzinsbelastung im Mietmarkt nicht vertretbar geworden.
Trotz der Sanierung dürfte die voraussichtliche Lebensdauer des Gebäudes Waldmannstrasse 25 auf maximal etwa 30 Jahre beschränkt bleiben. Die bestehende ursprüngliche Rohbausubstanz konnte nicht aufgewertet werden und wird sich in den folgenden Jahren der Alterung weiter abbauen. Wirtschaftlich ist dieser enorme Aufwand eigentlich nicht vertretbar.
Grundsätzlich war die hohe Qualität des Tscharnerguts als Quartier nie bestritten. Die verkehrsfreie Siedlung wurde von der Bauherrschaft nie in Frage gestellt. Nur die materielle Substanz der Gebäude, welche zur Zeit ihrer Erstellung unter einem enormen Spardruck gebaut wurden, erfüllen die Bedürfnisse heute nicht mehr. An dieser Stelle soll aber festgehalten werden, dass die Entwicklung und Erstellung des Tscharnerguts eine Pionierleistung aus den 1950-Jahren darstellt und nicht geschmälert werden soll. Nur genügen die Anforderungen an die heute gültigen Gesetze und die gesellschaftlichen Erfordernisse bei weitem nicht mehr.
Um ein Museum daraus zu machen ist aber das Quartier eindeutig zu jung und der Standort in der Stadt Bern zu wichtig. Letztlich haben die Pioniere eine Siedlung als Massenprodukt gebaut, um Familien mit Kindern günstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Dieses Ziel kann nach 60 Jahren nicht mehr erfüllt werden.
Jetzt ist es an der Zeit und muss hier die Frage erlaubt sein, was wichtiger ist:
oder der Denkmalschutz. Es macht keinen Sinn, etwas zu erhalten, das nicht mehr wirtschaftlich genutzt werden kann.
Aus diesen Gründen ist die FAMBAU Genossenschaft zum Schluss gekommen, dass mit den Erfahrungen und der weiteren Entwicklung im Tscharnergut und im Speziellen mit dem eingereichten generellen Baugesuch für die Fellerstrasse 30 eine neue Epoche begonnen werden sollte. Die Idee für einen Ersatzneubau dient dazu, das längerfristige Überleben des Tscharnerguts zu sichern. Daran sollte schlussendlich auch der Heimatschutz, die Denkmalpflege und die Stadt Bern ein Interesse haben.
Ein Ersatzneubau in der vorliegenden Form, mit dieser zeitlos starken architektonischen Sprache wird allen notwendigen Anforderungen gerecht und fügt sich in der gesamten Gestaltung des Quartiers harmonisch ein.
Nur mit der zusätzlichen Gebäudetiefe von 3 Metern, den grösseren Wohnungen und Zimmern ist es möglich die Anforderungen an zeitgemässen Wohnungsbau und Mieterbedürfnisse zu erfüllen. Der Ersatzneubau Fellerstrasse 30 wird dabei nicht speziell auffallen und die Stärken des Tscharnerguts sogar unterstützen. Damit wird das Potential geschaffen, dass in der Zukunft wieder ein gefragtes Quartier für kinderreiche Familien entstehen kann.
Gegen diese Vision können eigentlich keine vernünftigen Argumente bestehen.